Innovation

Vergangene Woche hatte ich die Gelegenheit, einen Vortrag von Girish Wagh zu hoeren, dem Leiter der PKW-Entwicklung bei Tata Motors. Unter dem Titel “Nano – Thinking out of the box” sprach er zum Thema Innovation, speziell ueber zwei Erfolgsgeschichten von Tata, den PKW “Nano”, und den Mini-LKW “Ace”.
Ohne eine Praesentation hat der unscheinbare Mann ruhig ueber eine Stunde gesprochen und mich und die uebrigen Zuhoerer in seinen Bann gezogen.

Mit einer Theorie, was fuer Innovation notwendig ist, fing er an. Diese vergleicht Innovation mit einem Kind. Dieses braucht, um gut zu gedeihen eine Mutter, die es ernaehrt und umsorgt, einen Vater, der es lenkt und fuehrt, und einen Kinderarzt, der es immer wieder untersucht und, falls noetig, Therapien einsetzt, um es gesund zu halten. Was dies im uebertragenen  Sinne bedeutet, erklaerte er anhand von spannenden Beispielen.

Was ist denn nun eine Innovation? Girish meint, eine Innovation verdient diesen Namen nur dann, wenn sie den Kunden zusaetzlichen Nutzen bringt gegenueber altbekanntem, und damit auch den anderen Beteiligten nutzt, z.B dem Unternehmen durch hoehere Umsaetze und Gewinne.

Die erste Innovation von Tata unter Girishs Regie war ein Mini-LKW, der Ace, dem man in Indien staendig begegnet. Im Gespraech mit vielen Fuhrunternehmern und Fahrern war die Idee entstanden, einen vierraedrigen Transporter zum Preis der dreiraedrigen zu bauen, die vergleichbar sind mit den italienischen Ape-Transportern. Warum wuenschten sich die Fahrer ein solches Fahrzeug? Es musste klein sein, um ueberall hinzukommen, wo man Ware ein- und ausladen muss, und ausserdem leicht parken zu koennen. Ein groesseres Fahrzeug war da offensichtlich von Nachteil. Dennoch sollte es vierraedrig sein, weil ein vierraedriges Fahrzeug viel stabiler ist, und ausserdem viel angesehener ist. Ein Fahrer versprach sich darueber bessere Heiratsangebote – wenn das kein Argument ist!
Das Fahrzeug zum Preis eines Dreirades zu bauen schien zunaechst unmoeglich, auf alle Faelle war es ein gewagtes Ziel, und damit geeignet als Ausloeser fuer eine Innovation.
Tata erreichte das Ziel schliesslich, und es zeigte sich, dass sie den Markt verstanden hatten. Das Fahrzeug muss ein Verkaufsschlager sein, es begegnet uns staendig.

Die erste Voraussetzung fuer Innovation ist damit klar, ein ehrgeiziges Ziel bzw. eine Vision. Was ist noch wichtig?
Girish haelt die Zusammensetzung des Entwicklungsteams fuer entscheidend. Die Leute muessen folgende Eigenschaften mitbringen:
Disziplin, Leidenschaft/Enthusiasmus, Kreativitaet und Zielstrebigkeit. Im Team muss Kameradschaft herrschen, kein Einzelkaempfertum.
Tata Motors hatte erst 1998 seinen ersten PKW auf den Markt gebracht, ausserhalb Indiens wenig beachtet.

Ungefaehr 2005 kam die Idee auf, wieder etwas voellig neues auf den Markt zu bringen, einen PKW zum Preis von ca. 100000 Rupien, also nur wenig mehr als der Preis fuer ein Motorrad. Unmoeglich und unerreichbar, so schien auch dieses Ziel zu sein. Und damit wieder geeignet fuer eine Vielzahl an Innovationen. Es war ein steiniger Weg, bis das Fahrzeug gebaut werden konnte, viele Elemente mussten mehrfach neu entwickelt werden, unter anderem der Motor, der wurde dreimal von Grund auf entwickelt, bis er die Anforderungen der Kunden in Hinsicht auf Beschleunigung, Geschwindigkeit und Wirtschaftlichkeit erfuellte, und zudem gesetzliche Vorgaben, auch solche, die erst in Zukunft erwartet wurden.
Die Rolle des Kunden uebernahm immer wieder Mr. Tata hoechstpersoenlich. Er testete die Entwicklungen, und arbeitete darueber hinaus intensiv mit den Ingenieuren zusammen. Dies fuehrte zu einer Arbeitskultur bei, wo die Entwickler die Angst vor Fehlern verloren, und immer wieder bereit waren, und von vorne anzufangen mit dem Risiko des Scheiterns. Fuer Girish ist diese Kultur die dritte notwendige Voraussetzung fuer Innovation.
Mit eigenen Mitarbeitern war das Ziel jedoch nicht erreichbar, es mussten gute Zulieferer gewonnen werden. Diese waren anfangs zurueckhaltend und glaubten nicht an die Ernsthaftigkeit des Projekts. Wieder einmal waren ungewoehnliche Schritte notwendig. So bekamen ausgewaehlte Vertreter waerend eines Meetings das Tonmodell des Nano zu sehen, ein eigentlich undenkbarer Schritt. Doch das half, unter anderem Bosch als Entwicklungspartner zu gewinnen.

Ein neues Produktionswerk musste gebaut werden. Tata entschied sich wieder einmal ungewoehnlich. Man wollte dem Bundesstaat West Bengal eine Chance geben, der industriell schwach entwickelt ist. Die Regierung stand der Idee positiv gegenueber, und unterstuetzte die Werksgruendung. Als das Werk seinen Betrieb aufnahm, gab es riesige Proteste in der Bevoelkerung, die sich steigerten bis zu einer Blockade, bei der auch die Manager fast 24 Stunden nicht wieder aus dem Gelaende herauskamen. Eine Entscheidung musste her: Das Werk wurde aufgegeben, und in einem anderen Bundesstaat neu gebaut.

Der Nano wurde bislang nicht zum Verkaufsschlager. Von aussen ist das schwer zu verstehen, denn er hat gegenueber einem Zweirad entscheidende Vorteile, und waere fuer die meisten Transportaufgaben voellig ausreichend. Eine Kollegin, die aktuell ueberlegt, sich ein Auto zu kaufen, erklaerte mir folgendes: Wenn sie einen Nano kaufen wuerde, waere das ein Signal an ihre Umwelt, dass sie sich kein anderes Auto leisten kann. Schon der Kauf eines Maruti Alto, des sehr erfolgreichen, etwas in die Jahre gekommenen Kleinwagens von Suzuki, wuerde sie als “middle class” erkennbar machen, waere also in Ordnung.

Doch der Nano hat Tata in aller Welt bekannt gemacht, und es bleibt spannend, zu beobachten, womit dieses Unternehmen in den kommenden Jahren Furore machen wird. Das Zeug dazu hat es, das muesste nun klar sein.

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1 Antwort zu Innovation

  1. Yannis sagt:

    Danke für den Post! sehr interessant. Tata ist mir bis jetzt nur in der Form von TCS begegnet, also als Konkurrent im IT-Bereich. Bis jetzt hatte ich Schwierigkeiten ein positives Erscheinungsbild mit dem Konzern zu verbinden….

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